Fallgeschichte II. - Unbewusste Ängste aufdecken

Ihre emotionalen Unsicherheiten konnte Frau A. lange Jahre durch beruflichen und privaten Erfolg in Schach halten. Die Betonung von Unabhängigkeit und Stärke machten ihre individuelle Bewältigungsstrategie aus. Doch die ist ins Wanken geraten. Und zwar durch die beginnende Pubertät der 14-jährigen Tochter und den bevorstehenden eigenen vierzigsten Geburtstag. Der Grund: Frau A. identifiziert sich unbewusst mit ihrer Mutter. Sie befürchtet, dem Druck der doppelten Belastung von Beruf und Familie nicht Stand halten zu können. Ferner wurde sie ja mit 14 Jahren missbraucht, in eben dem Alter, in dem ihre Tochter nun war. Auch hier darf eine unbewusste Identifikation mit der Tochter angenommen werden.

Diese unbewussten Zusammenhänge führten dazu, dass Frau A. ihre scheinbar unerklärlichen Panikattacken und die Angstanfälle erlebte. Die nicht wahrgenommenen unbewussten Assoziationen bahnten sich so ihren Weg: als Angst und Zweifel an der Funktionstüchtigkeit des eigenen Körpers. Insgesamt hat zunächst die Bearbeitung der lebensgeschichtlichen Entwicklung zu mehr Selbstverständnis beim Patienten geführt. Die weitere aufdeckende und deutende psychotherapeutische Arbeit hat rasch eine Stabilisierung der psychischen Befindlichkeit mit erheblicher Symptommilderung bewirkt. Frau A. hat nach 50 Sitzungen (1 Stunde pro Woche) tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie die Behandlung weitgehend symptomfrei beenden können.

Störungen verstehen lernen

Die Fallgeschichte von Frau A. zeigt am Beispiel auf, worum es in einer psychotherapeutischen Behandlung vor allem geht: um die Ursachen einer Störung. Diese Ursachen sind den Patienten in der Regel nicht bewusst. Tiefenpsychologische Psychotherapie möchte anhand der Lebensgeschichte und -umstände des Patienten aufdecken, wie sich die Angststörung entwickeln konnte. Durch das Verständnis dieses Prozesses wird der Patient in die Lage versetzt, seine Störung zu verstehen und bewusst zu bewältigen. Dabei mischt sich der Therapeut aktiv in den Prozess ein. Er weist etwa auf Zusammenhänge hin und gibt Handlungsempfehlungen. Bei der anderen anerkannten tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie, der Psychoanalyse, ist der Patient selbst stärker gefragt.