Experten-Interview (Fortsetzung)

Frage:

Und wie komme ich als Patient da raus – mit einem, entschuldigen Sie den Ausdruck, „deformierten“ Gehirn?

Dr. Klinger:

Glücklicherweise kann man von einer Veränderbarkeit der Synapsen im Gehirn ausgehen, man spricht von „neuronaler Plastizität des Gedächtnisses“. Das heißt, durch Lernprozesse lässt sich eine neue Prägung, eine neue Gedächtnisspur bilden. Genau das ist der Ansatz, den wir mit unseren Patienten verfolgen.

Frage:

Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?

Dr. Klinger:

Einer der Doktoranden hier am Institut hat soeben in seiner Promotion nachweisen können, wie sehr unsere Gedanken und Erwartungen die Intensität des Schmerzes beeinflussen. Er hat Patienten mit chronischen Rückenschmerzen zunächst gebeten, eine Wasserkiste zu heben. Das Ergebnis: Manche trauten sich gar nicht, viele klagten schon beim Gedanken an das Heben über Schmerzen. Dann wiederholten wir das Experiment, ließen die Patienten aber im Glauben, sie hätten zuvor ein starkes Schmerzmittel erhalten. Tatsächlich bekamen die Patienten wirkstofffreie Tropfen, Placebos. Und plötzlich hatten deutlich weniger der Teilnehmer Schmerzen, einige haben die Kiste sogar schmerzfrei gehoben. Diese Patienten machen also die Erfahrung, dass ihre Gedanken und Erwartungen den Schmerz sehr wohl beeinflussen.

Frage:

Und programmieren ihr Gehirn damit neu?

Dr. Klinger:

Ja. Dazu reichen einzelne Erfolgserlebnisse natürlich nicht aus. Es kommt darauf an, den Patienten zunächst genau kennenzulernen. Gemeinsam legen wir die jeweils persönlichen Empfindungs- und Verhaltensmuster offen, um durch gezielte Aktivitäten eine Vielzahl von angenehmen Erlebnissen für den Patienten zu schaffen. Das ist vor allem eine Frage der Motivation, denn es gilt, die anfänglichen Widerstände der Patienten zu überwinden. Innerhalb von wenigen Wochen lernen die meisten aber, so konstruktiv mit ihren Schmerzen umzugehen, dass sie zum Beispiel auf zuvor erwogene Operationen verzichten. Wichtig ist es, dass die Patienten für diese Veränderungsschritte einen Diplom-Psychologen mit einer speziellen schmerztherapeutischen Ausbildung finden.