Medizinisches Lexikon

Hirnwasser

Als Hirnwasser (Synonyme: Liquor, Liquor cerebrospinalis, Nervenwasser) wird eine farblose, klare Flüssigkeit bezeichnet, die das zentrale Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) umfließt. Aufgabe des Hirnwassers ist es, das zentrale Nervensystem vor Stößen, Erschütterungen und Verletzungen zu schützen. Zusätzlich zur Polsterwirkung des Liquors schirmen knöcherne Wände (Schädelhöhle und Wirbelsäule) das zentrale Nervensystem ab. Hirnwasser wird in der Medizin zur Diagnose verschiedener neurologischer Erkrankungen mithilfe einer Spritze entnommen (Lumbalpunktion).

Bildung und Funktion des Liquors

Das Hirnwasser wird zu einem Großteil im Gehirn, in den sogenannten Hirnkammern (Ventrikeln) gebildet. Die vier Hirnkammern bilden eine Art Höhlensystem im Inneren des Gehirns. Ein spezielles Adergeflecht (Plexus choroideus) in den Ventrikeln ist dafür zuständig, Eiweiße, Blutplättchen und vieles mehr aus dem Blut zu filtern und so den Liquor herzustellen. Den Plexus choroideus kann man sich vorstellen, wie kleine Brokkoli-Röschen, die als Ausstülpungen der Ventrikelwände in das Höhleninnere hineinragen.

Menge des Hirnwassers

Der Plexus choroideus bildet pro Tag circa 500 bis 700 Milliliter Liquor. Um das Gehirn und Rückenmark herum befinden sich allerdings nur etwa 100 bis 150 Milliliter Nervenwasser. Das gesamte Volumen wird also drei- bis viermal am Tag ausgetauscht. Hierfür wird der verbrauchte Liquor cerebrospinalis in das Venensystem des Körpers aufgenommen und gelangt in das Herz-Kreislaufsystem.
 

Nachdem das Hirnwasser vom Plexus choroideus gebildet wurde, verteilt es sich im außerhalb des zentralen Nervensystem liegenden Subarachnoidalraum. Er befindet sich zwischen den beiden weichen Hirnhäuten und umgibt Gehirn und Rückenmark. Da die Hirnhäute in engem Kontakt zu unserem Denkorgan stehen, hat der Liquor eine ähnliche Zusammensetzung wie das Gewebe des Gehirns.

Die wichtigste Funktion des Hirnwassers ist der Schutz des empfindlichen Gehirns und Rückenmarks. Indem der Liquor cerebrospinalis die weichen Hirnhäute umspült, polstert er das zentrale Nervensystem wie ein Wasserkissen vor Erschütterungen ab. Außerdem reduziert das Hirnwasser das Gewicht, mit dem das Gehirn auf die Schädelbasis einwirkt. Ob das Hirnwasser Nervenzellen im Gehirn mit Nährstoffen versorgt, ist umstritten, ebenso wie eine Beteiligung an der Erregungsweiterleitung, also an der Kommunikation der Nervenzellen untereinander.

Die Zusammensetzung von Hirnwasser

Gesundes Hirnwasser ist klar und ähnelt in seinem Aussehen – wie der Name verspricht – Wasser. Da es durch einen Filterungsprozess des Blutes entsteht, enthält es normalerweise wenig Zellen. Glucose- und Eiweißgehalt sind im Vergleich zum Blut deutlich verringert. Die größte Gruppe an Zellen im Liquor bilden Abwehrzellen, sogenannte Lymphozyten. Rote Blutkörperchen finden sich im gesunden Hirnwasser nicht.

Liquor cerebrospinalis zur Diagnose von Krankheiten

Da Hirnwasser beim gesunden Menschen eine eindeutige Zusammensetzung aufweist, wird beim Verdacht auf neurologische Erkrankungen, Entzündungen oder Einblutungen in das zentrale Nervensystem häufig eine Hirnwasser-Probe entnommen. Verschiedene Krankheiten verursachen eine veränderte Zusammensetzung des Liquors, zum Beispiel:

  • Multiple Sklerose
  • Lyme-Borreliose
  • Hirnhautentzündung (Meningitis)
  • Tumoren
  • Syphilis
  • Tuberkulose

Für die Untersuchung wird Liquor cerebrospinalis mithilfe einer Hohlnadel aus dem Subarachnoidalraum entnommen. Die Untersuchung heißt Lumbalpunktion, weil der Arzt meist zwischen die Wirbelkörperfortsätze im Lendenbereich sticht. Hierfür sitzt der Patient mit gebeugtem Rücken („Katzenbuckel“) auf einer Liege. Bei der Entnahme des Hirnwassers wird das Rückenmark nicht verletzt. Der gewonnene Liquor wird im Labor auf sein allgemeines Aussehen, die Zellzahl, die vorliegenden Zellarten, Eiweiß- und Laktatgehalt hin untersucht. Dabei können zum Beispiel Krankheitserreger wie Bakterien oder Viren erkannt werden.

Ist der Druck im Gehirn durch eine Erkrankung erhöht, darf eine Lumbalpunktion nicht durchgeführt werden. Eine plötzliche Verringerung des Hirnwassers durch die Untersuchung könnte dazu führen, dass das Gehirn in den Rückenmarksraum abrutscht und so das Rückenmark einklemmen würde. Deshalb überzeugt sich der Arzt vor einer Lumbalpunktion durch eine Computertomographie (CT) oder eine Spiegelung des Augenhintergrundes davon, dass eine Hirnwasser-Entnahme gefahrlos möglich ist. Weitere Ausschlusskriterien für eine Lumbalpunktion sind

  • Entzündungen von Haut, Unterhaut oder Muskulatur im Bereich der Einstichstelle,
  • Gerinnungsstörungen (zum Beispiel durch blutverdünnende Medikamente) oder
  • eine erhöhte Blutungsneigung.

Zu den möglichen Nebenwirkungen einer Lumbalpunktion zählen Blutergüsse, Infektionen, Kreislauf- und Bewusstseinsstörungen sowie vorübergehende Nervenausfälle mit Taubheitsgefühlen. Bei Patienten mit Migräne kann eine Lumbalpunktion einen Anfall auslösen. Durch die sterile Arbeit in der Klinik kommen Nebenwirkungen allerdings selten vor.

Medikamente ins Hirnwasser

Nicht nur zur Diagnose ist das Hirnwasser für Mediziner wertvoll. Auch einige Medikamente können über eine Spritze in das Hirnwasser gegeben werden, beispielsweise wenn bei einem Kaiserschnitt nur bestimmte Bereiche betäubt werden sollen (Spinalanästhesie). Ansonsten werden Arzneien gegen Tumoren, die in den Subarachnoidalraum hineinragen, gelegentlich über den Liquor verabreicht.